Viele Menschen vermischen sehr gerne die Bezeichnungen Chant und Mantra.
Dies mag vielleicht auch an der hier und da auftauchenden, irreführenden Formulierung liegen, man würde einen Mantra chanten.
Das
es jedoch tatsächlich Unterschiede gibt, das ein Chant nicht unbedingt
ein Mantra und ein Mantra erst recht kein Chant sein muss, ist den
wenigsten bewusst.
Doch was unterscheidet sie voneinander?
Auf den ersten Blick scheinen die beiden mehr gemeinsam zu haben, denn Dinge, die sie trennen.
Versuch ich also, mal ein wenig Klarheit rein zu bringen.
Wenn
wir beide oberflächlich betrachten, so handelt es sich sowohl beim
Chant als auch Mantra um recht eingängige, mehr oder minder kurze Verse
oder Texte, die wiederholt gesungen, gesprochen oder in einem
Sprechgesang wiedegegeben werden.
Versuchte ich, die Unterschiede der beiden kurz zu erklären, würde es vermutlich darauf hinauslaufen, zu sagen:
Ein
Chant dient erst mal in erster Linie dazu, Energie aufzubauen, zu
forkussieren und (eventuell) bei ihrer Lenkung zu unterstützen und er
ist meist recht kurz gehalten.
Ein Mantra hingegen zielt in erster
Linie darauf ab, sich zu vertiefen, (in eine Gottheit/ein Mandala) zu
versenken und/oder sich besser konzentrieren zu können (z. B. in der
Meditation).
Und sie können beides sein: kurz oder aber auch recht lang!
Doch gucken wir uns beides nun ein wenig genauer an.
Chant
Das
Wort "Chant" hat seine Wurzeln im Englischen "to chant" (=„(ab) singen,
(vor sich hin) leiern, rhythmisch rufen“ (oder auch „im Chor grölen“)).
Darüber hinaus besitzt es auch noch im musikalischen Sinne die Bedeutung von "Choral" und im religiösen Sinn von "Kirchenlied".
Allgemein kann ein Chant auch verstanden werden als "(Kirchen)Gesang, Sprechchor" oder schlicht "Tonfall".
In
der einfachsten Form handelt es sich bei einem Chant also um das Singen
oder (melodische) Sprechen von meist kurzen, einfachen und eingängigen
Texten, wobei dabei auch Körperbewegungen oder Tanz eingesetzt werden
können.
Die Funktion eines (mehrfachen wiederholten)
Chants kann je nach (heidnischer/weltanschaulicher) Gruppe
unterschiedlich und vielfältig sein.
- Förderung, Stärkung und Fokussierung des Gruppengeistes
- Förderung der Trance
- Erlangung eines meditativen Zustandes
- Aufbau und Lenkung der (Gruppen) Energie
Mantra
In der Wikipedia wird Mantra übersetzt mit "Instrument des Denkens/der Rede".
Der Begriff stammt aus dem Sanskrit und bildet sich aus den Silben "man" und "tra".
"Man" stammt von "manas" ab, was unter anderem mit "Geist, Überlegung, Denken" übersetzt werden kann.
"Tra"
hat seinen Ursprung womöglich eher in "traarayati" (von der Wurzel
"tRR"), was soviel bedeutet wie "erfüllen, übersetzen/überqueren, klar
machen, erreichen".
Das Wort Mantra kann meiner Meinung
nach also vermutlich eher damit übersetzt werden, dass es sich dabei um
etwas handelt, dass den Geist/das Denken erfüllt, diesen/s klar macht,
aber auch dazu führt, dass das Denken "überquert" wird und so zu inner
Stille und Frieden führt, die/der den Geist klar und frei macht, z.B.
für das persönliche Erleben mit einer Gottheit.
Im
ursprüngelichen Sinn handelt es sich bei einem Mantra um einen
religiösen Vers, bzw. eine Strophe, der/die meist aus den Veden, also
den alten heiligen Schriften der Hindus stammt.
So gesehen handelt es sich dabei um einen Teil vedischer Poesie.
Die
Veden (wie auch andere Schriften) wurden in Strophen/Verse gefasst,
damit sie leichter zu verinnerlichen und auswendig gelernt werden
konnten.
Innerhalb des Hinduismus (und seinen
verschiedenen Richtungen) gibt es unterschiedliche Formen des Mantra,
wobei ich weiter unten nur kurz ein paar herausgreife, weil sie unter
sich schon dermaßen Komplex sind, dass Bücher damit gefüllt werden.
Mantren
werden, im Gegensatz zu Chants, dazu eingesetzt, mentale und sprituelle
Energien freizusetzen, Götter (und ihre Energien) zu e- bzw.
invozieren.
Es gibt keine spirituelle Praxis innerhalb des
Hinduismus und seinen unterschiedlichen Richtungen, ohne Mantren,
angefangen vom (täglichen) Puja (=Ritual) hin zu Meditation, oder
anderen sprituellen Praktiken.
Da das Leben vieler Hindus auch im Alltag von ihrer Spiritualität durchwoben ist, werden Mantren auch im Alltag rezitiert.
Vor der Schule, vor wichtigen Entscheidungen, vor Mahlzeiten, zum Aufstehen oder Schlafen gehen...
Der Möglichkeiten gibt es unsäglich viele.
Neben
"kürzeren" Mantren gibte es auch längere, wovon die ältersten zu den
Opferformeln und Gebeten zählen, die in den Veden weitergegeben wurden.
In
der vedischen Religion, zumindest in vielen ihrer Richtungen, wird auf
den richtigen Klang, bzw. auf die richtige Aussprache der Worte im Ritus
ein besonderer Wert gelegt, weil nach vedischem Verständnis davon die
Wirksamkeit der Opferhandlung bzw. des Gebetes abhängig ist.
In
manchen vedischen/hinduistischen Richtungen ist es üblich, dass ein
Schüler von seinem Guru ein persönliches Mantra bei seiner Einweihung
erhält, das er immer wieder rezitieren und das ihn zu Erkenntnis und
Weisheit führen soll.
Bestimmte Mantren, bzw.
Kombinantionen von Mantren können außerdem auch auch als
Beschwörungs-oder Anrufungsformeln verwendet werden.
Zum Beispiel
gegen Schlangen, Dämonen, zur Bannung von ungünstigen Energien und
Kräften oder aber auch als Anrufgungsformeln für Götter oder andere
Wesenheiten.
Mantra-Formen
1. "Saguna"-Mantren (= "mit Form")
Nama-Mantra
Beim
Nama (=Namen)-Mantra handelt es sich um das wiederholen des Namens
einer Gottheit, das die Gegenwart der Gottheit entweder evoziert oder
invoziert (nicht nur in einen Menschen, sondern z. B. auch in eine Murti
(=Bildgestalt wie Statue) oder einfach ihre Energie ruft.
Es gibt unterschiedliche "Formen" des Nama-Mantras.
So kann
- nur der Name der jeweiligen Gottheit rezitiert werden
- der Name zusammen mit "Om namo..." ("Verehrung/Ehre sei...") oder
- zwischen "Om...namah(a)" ("Gegrüßt sei...") oder
- mit (Om) "Jay"/"Jaya..." ("Sieg (dem, der) ...")
erscheinen, oder manchmal auch in anderen unterschiedliche Konstellationen.
Das beständige, mündliche Wiederholen eines Mantras wird "japa" genannt.
Je
nachdem wird es "nama-japa" genannt, "mantra-japa" oder auch (wenn eine
Art "Rosenkranz", das Mala, verwendet wird) "mala-japa".
Eine
weitere Form ist das "likhita-japa", d.h. das wiederholte
niederschreiben eines Mantras auf ein Stück Papier, in ein Heft oder auf
andere Materialien.
Zu den Saguna-Mantren gehört z. B. auch das sehr populäre Gayatri-Mantra.
2. Bija-Mantra/Bija-Akshara
"Bija" bedeutet "Same, Keim".
Es
sind Silben, die meist einer bestimmten Gottheit zugeschrieben werden
und/oder bestimmte spirituelle Kräfte zugeschrieben werden.
So z. B.
Aim=Sarasvati
Shreem=Lakshmi
Hreem=Bhuvaneshwari
Gam= Ganapati (=Ganesha)
Zu den Bija-Mantren gehören auch das "Om" und die den Chakren zugewiesenen Silben.
3. "Nirguna"-Mantren (="ohne Form")
Dies
sind "abstrakte" Mantren, die weder eine bestimmte Gottheit e-bzw.
invozieren, noch sich an eine bestimmte andere "Wesenheit" wenden.
Dazu wird manchmal auch das "Om" gezählt.
Andere Mantren die dazu gehören sind z. B.
"Soham" = Ich bin der ich bin
"Aham Brahma asmi" = Ich bin Brahma
Mantren außerhalb des Hinduismus
Doch nicht nur im Hinduismus werden Mantren verwendet.
Der
Buddhismus, der sich aus dem Hinduismus entwickelte, hat sich ebenfall
das Rezitieren von Mantren in seiner spirituellen Praxis erhalten.
Im
Vajrayana (dem „Diamantfahrzeug“)-Buddhismus, zu dem die tibetische
Tradition ebenso gehört wie das japanische Shingon) spielen Mantren eine
so entscheidenden und wichtige Rolle, dass er auch als „Mantrayana“
(also „Mantra-Fahrzeug“) bezeichnet wird.
Im
tibetischen Buddhismus sind die Mantren in der Regel in Sanskrit
überliefert, wobei sich jedoch die Aussprache mitunter verändert (als
Beispiel sei hier das „Om mani padme hum“ (sanskr.) und „Om mani peme
hung“ (tibet.) genannt) und wie im Hinduismus werden Mantren von
qualifizierten Lehrer während der Einweihung an ihre Schüler
weitergegeben.
Es gibt auch einige Mantren, die rein in
tibetischer Sprache verfasst sind und sich als Referenz an bekannte
tibetische Heilige (wie z. B. Milarepa) richten.
Jedem Buddha (und im tibetischen Buddhismus auch Bodhisattva) ist ein eigenes, langes Mantra zugeordnet.
So zum Beispiel das „Om mani padme hum“/“Om mani peme hung dem Bodhisattva Avalokiteshvara bzw. Chenrezig.
Bei
den buddhistischen Mantren handelt es sich in der Regel um
„Kernaussagen“ oder auch „Merksprüche“ der buddhistischen Lehre, die
meistens in ihrer Ursprache, meist ist dies Sanskrit, weiter gegeben
werden.
Bei der Meditationspraxis spielen Mantren eine wesentliche
Rolle, da sie zum einen als Meditationsobjekt dienen, andererseits aber
auch zur Anrufung eines Buddhas/eines Bodhisattvas, über den man
meditieren und dazu visualisieren möchte (und der somit dann zum
Meditationsobjekt wird) benutzt wird.
Das Mantra hat somit die
Funktion einer Stütze, die den Gedanken dabei hilft, bei dem Objekt der
Meditation zu bleiben, während dann das Ziel einer Mantra-Rezitation
ist, nicht mehr auf das Mantra an sich zu fixieren, sondern das
Meditatinsobjekt zu erfahren (d. h. zum Beispiel selbst zu dem
visualisierten Buddha/Bodhisattva) zu werden.
Buddhistisch
Mantras sind häufig in einer gewissen Weise aufgebaut und man
unterscheidet in der Regel zwischen Keimsilben (wie im Hunduismus),
denen auch im Buddhismus bestimmte Wirkungen und Funktionen auf das
Energiesystem zugesprochen werden, Kernaussagen oder die Namen von
Buddhas/Bodhisattvas oder Heiligen/Gurus.
Als Keimsilben werden im Buddhismus zum Beispiel „OM, AH“ oder „HUM“.
In
der Regel beginnt und endet ein buddhistisches Mantra mit einer
Keimsilbe, zwischen denen dann eine Kernaussage oder der Name eins
Buddhas, Bodhisattvas oder eines Heiligen geestzt wird.
Viele Mantras beginnen außerdem mit „tyatha“ und enden mit „HUM“ oder „soha“.
Dem
Mantra wird im Buddhismus nachgesagt, bestimmte Schwingungsfrequenzen
zu haben und zu erzeugen und außerdem selbst ein Aspekt der sogenannten
„Urschwinung“ zu sein, die der Hinduismus als „Shabda“ oder „Nama“
bezeichnet und die vergleichbar mit dem kabbahlistischen SCHEM ist.
Farben,
Symbolen (zum Beispiel als Thankas oder Mandalas) und dergleichen
(visualisiert oder physisch „anwesend“), verstärken oder verändern die
Wirkung eines Mantras, wobei die Wirkung auch von der Kraft desjenigen
abhängt, der meditiert und von der Dauer, die der Meditierende die
Schwingung aufrechterhält.
In der Meditation dienen
Mantras in erster Linie zur Transformation des Meditierenden, da ein
Mantra einer bestimmten Buddha bzw. einer bestimmten Geisteshaltung zu
geordnet ist und die Rezitation dieses Mantras dazu dient, die
entsprechende Geisteshaltung zu fördern und hervor zu bringen.
Unterstützt
wird der Effekt zum Beispiel durch die Keimsilben, welche die
Aufmerksamkeit des Meditierenden zusätzlich auf bestimmte Energiezentren
im Körper lenken.
Wer sich
darüber hinaus mit offenen Augen umsieht, der kann erkennen, dass die
Praxis der Mantra-Rezitation auch in anderen Religionen und
Weltanschauungen bekannt ist, wenn auch nicht unter demselben Namen.
Das Rezitieren der 99 Namen Allahs würde ich ebenfalls dazu zählen wie das "Ave Maria" oder das "Vater unser", oder ähnliches.
LG
Siat